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Abiturrede 2016 - Herma Beisemann

Liebe Abiturienten und Abiturientinnen,
liebe Eltern und Familienangehörige,
liebe Kollegen und Kolleginnen,
liebe Gäste.

Ich habe mich entschlossen, meine Rede musikalisch unterstützen zu lassen, keine Angst, ich lasse singen

 

Tell me why I don’t like mondays

Warum fange ich mit diesem Lied an, heute ist doch Freitag. Zur Erklärung: Vor gut zwei Wochen, genauer gesagt am 22.2., an einem Montag, ich komme gerade gut gelaunt aus meinem Französischunterricht und freue mich auf eine Tasse Kaffee, da stehen vier nette Abiturientinnen vor der Tür und überfallen mich mit der Bitte, die diesjährige Abirede zu halten. Als ich ein wenig zögerlich reagiere – ich weiß, es ist eine Ehre und eigentlich müsste ich stolz sein – werde ich getröstet, dass sie, die Abiturienten, auch nur zwei Wochen Zeit hätten sich auf ihre mündliche Prüfung vorzubereiten, insofern sei die mir zur Verfügung stehende Zeit durchaus ausreichend, getreu nach dem Motto: Lehrer haben morgens Recht und nachmittags frei und sonst nichts anderes zu tun. Müßig, da zu widersprechen, nichts lebt länger als ein gut gepflegtes Vorurteil.

Ich bin dann nach Hause gefahren und mir ist eingefallen, dass ich im Jahre 2002 schon einmal eine Abirede gehalten habe, die könnte ich reaktivieren, zumal die Technik damals ziemlich versagte und kaum einer mitbekommen hatte, was ich sagte, es wäre kein Gutenberg, denn die war von mir, doch wo ist sie? Ich hab sie nicht mehr gefunden...

Also musste ich noch einmal neu anfangen.

Zunächst, nach diesem Prolog, herzlichen Glückwunsch zum bestandenen Abitur, euch, ihr lieben Schülerinnen und Schüler und Ihnen, liebe Eltern, denn Sie haben ja mitgelitten und sind virtuell sicher mit in die Prüfung gegangen.

Wie ihr euch heute fühlt kann ich mir vorstellen, auch wenn mein Abitur aus dem letzten Jahrtausend stammt.

 

We are the champions, we are the champions, no time for losers cause we are the champions of the world

Man sagt, dass der Mensch zur Zeit des Abiturs das größte Allgemeinwissen aufweist, in Mathe, Englisch, Französisch, Latein, Geschichte, Physik oder worin auch immer brilliert, allerdings, das wissen wir seit letztem Jahr, keine Steuererklärung ausfüllen kann - kann ich bis heute nicht, dafür habe ich einen Steuerberater-, und dass es ab dann nur noch abwärts geht, zumindest was das Allgemeinwissen angeht, danach finge die Zeit des Spezialwissens an. Wobei es sicher nicht schädlich ist, wenn man das eine oder andere noch weiß und bei dem Spruch vier von drei Deutschen können nicht rechnen zumindest schmunzeln muss.

Aber das Gefühl, das ihr heute habt, dass ein Abschnitt eures Lebens gekrönt wird durch eine Urkunde, die euch die allgemeine Hochschulreife attestiert, das ist schon etwas Besonderes, auch wenn es nicht ewig dauert. Jede Droge verliert irgendwann ihre Wirkung und dann stellt sich die Frage nach der Zukunft.

 

Que sera, sera, whatever will be, will be, the future’s not ours to see, que sera, sera, what will be, will be

Ein uraltes Lied, was ausdrückt, dass man nicht in die Zukunft schauen kann, Gott sei Dank geht das nicht, es sagt aber auch, dass man die Zukunft nicht gestalten kann, sondern, dass alles so kommt, wie es kommen soll.

Klar, ganz viele Dinge können wir nicht beeinflussen. Vor Krankheit, Tod und Naturereignissen stehen wir hilflos davor und können nur reagieren, ändern oder beeinflussen können wir sie nicht.

Ihr aber könnt eure Zukunft gestalten, ihr seid frei, ihr könnt euch für die Hochschule oder eine Ausbildung entscheiden, wobei bei der Fülle der Möglichkeiten sicher die Qual der Wahl besteht und ihr euch entscheiden müsst, aber die Entscheidung trefft ihr. Wenn manchmal ein N.C. euer Lieblingsfach verhindert oder gerade bei diesem Ausbildungsberuf keine Stelle angeboten wird, dann müsst ihr vielleicht einen Umweg in Kauf nehmen, aber wenn ihr etwas Realistisches wirklich wollt, dann schafft ihr es. Ihr entscheidet, ob ihr von zuhause studiert und Hotel Mama bevorzugt oder euch abnabelt und mal ganz weit weg geht, für beides gibt es gute Gründe. Hierzubleiben sollte aber nicht mit Bequemlichkeit begründet werden. Und wenn doch, dann war das eure Entscheidung, für die ihr gerade stehen solltet. Allerdings hat Horizonterweiterung noch keinem geschadet, man kommt zurück und sagt, die Pfalz ist doch am schönsten.

Wenn ihr dann auf der Uni landet und erst einmal Bahnhof versteht, dann gebt nicht gleich auf, sondern boxt euch durch. In der FAZ vom 20. Februar hat ein Professor über die Studienanfänger folgendermaßen abgelästert: „Studienanfänger heute – leseschwach und verantwortungsscheu.“

Der Professor geht in seinem Artikel ziemlich hart mit den Studienanfängern um und wirft ihnen vor, nicht bereit zu sein, sich in ein Thema zu vertiefen, unfähig zu sein mit dem eigenen Nichtwissen umzugehen und, so formuliere ich es einmal, nicht bereit zu sein, um Erkenntnis zu kämpfen. Der Student/die Studentin von heute will möglichst alles häppchenweise serviert bekommen und möchte auch genauso abgefragt werden, um dann nach einer bestimmten Anzahl von Semestern ein Zeugnis zu erhalten.

Straft den Professor Lügen, wendet das an, was im Geschichtsunterricht mindestens zweimal angesprochen wurde, ich meine das Kapitel Aufklärung, diese Kulturbewegung des 17./18. Jahrhunderts, die sich sehr verkürzt auf folgende Maxime von Kant zusammenfassen lässt: Sapere aude, wage es, dich deines Verstandes zu bedienen.

Die Fähigkeit dazu habt ihr, setzt sie nur um, auch wenn es manchmal wehtut und man mehrere Stunden am Schreibtisch verbringen muss, das Ergebnis lohnt sich, wenn man, ohne wikipedia oder sonstige Hilfsmittel nach Stunden des Nachsinnens auf eine Lösung kommt.

Wir sind noch beim Thema Zukunft.

Ihr gestaltet eure Zukunft auch mit, wenn ihr übermorgen zur Wahl geht, wahrscheinlich zum ersten Mal, und eure Stimme abgebt. Wenn ihr nicht wählt, dann wird über euch entschieden, dann gebt ihr den Dumpfbacken, die einfache Lösungen anbieten, mehr Raum. Also macht euer Kreuzchen, die Wahllokale sind schließlich bis 18 Uhr geöffnet und bis dahin seid ihr sicher wieder wach.

Wir können natürlich nicht nur von euch erwarten, dass ihr euch eures Verstandes bedient, auch ich habe mich lange Zeit hingesetzt und versucht, euer Abimotto zu interpretieren.

Mafiabi, 13 Jahre unorganisiertes Verbrechen. Was wollten die Autoren uns damit sagen. 13 Jahre unorganisiertes Verbrechen, das heißt seit der Grundschule sind mafiöse Strukturen am Werke. Bedeutet dies, dass schon die Grundschullehrer in den Sog des Verbrechens gezogen wurden, Noten manipuliert wurden, und Kollegen bestochen worden. Mit welchem Ziel und warum ich nicht, wie viel Geld war im Spiel, sind Drogen verkauft oder konsumiert worden – die ehemalige Dattiloecke zeugt ja durchaus von einem gewissen Drogenkonsum, warum unorganisiert, soll erst eine Organisation geschaffen werden mit Nachfolgeorganisationen- nächstes Jahr gibt es ja gleich zwei Abiturjahrgänge. Ich habe Stunden damit zugebracht, an meinem Verstand gezweifelt und letztendlich keine Lösung gefunden. Vielleicht hätte ich doch die Seite: Gute frage.net besuchen sollen, die hätte mir vielleicht weiter geholfen.

Was soll ich euch für die Zukunft wünschen?

In letzter Zeit habe ich öfter in der Zeitung bei den Glückwünschen zum 18. Geburtstag gelesen, dass den Jubilaren von den Eltern ein geiles Leben gewünscht wurde.

Ich bin über dieses Adjektiv gestolpert, es gehört nicht unbedingt zu dem Vokabular, das ich benutze. In der Jugendsprache steht geil laut Duden für großartig, toll. Ich finde, großartig hätte sich für einen Glückwunsch in der Zeitung besser geeignet, aber vielleicht bin ich da sehr altmodisch.

Ob geil oder großartig, was ist darunter zu verstehen?

Ist damit ein Leben auf der Überholspur gemeint, immer höher, immer weiter, immer schneller? Für viele ist das ja ein großartiges Leben. Aber ein Leben kann ja nicht ununterbrochen toll und großartig sein, es sollte Höhen und Tiefen beinhalten, denn immer nur auf Wolke sieben zu schweben versperrt den Blick auf das, was wirklich zählt und macht auch einsam.

Natürlich wünsche ich euch Erfolg, aber zum Erfolg gehört auch Scheitern, sonst kann man Erfolg ja gar nicht genießen. So wünsche ich euch ein erfolgreiches Leben, aber noch mehr wünsche ich euch Zufriedenheit, Glücksmomente, gute Freunde, tolle Erlebnisse, kleine Freuden, Spaß, Erfahrungen, die das Leben lebenswert machen. Ich denke, das sollte mit dem Wort geil ausgedrückt werden.

Und wenn ihr dann in vielen Jahren auf euer Leben zurückblickt und es dann, trotz einiger Rückschläge, so zusammenfassen könnt, dann habt ihr alles richtig gemacht.

 

Non, rien de rien, non je ne regrette rien , ni le bein qu’on m’a fait, ni le mal tout ça m’est bien égal ...

Autor: Herma Beisemann