Zum Inhalt springen

Abiturrede 2018 -  Herr Ulrich Strehle

Liebe Eltern, Freunde, Verwandte, Kolleginnen und Kollegen,
aber vor allem: Liebe Abiturientinnen und Abiturienten,

„Es ist des Lernens kein Ende.“ Dieses Zitat stammt von dem Komponisten Robert Schumann und drückt eine klassische Lebensweisheit aus. Diese Aussage möchte ich im Verlauf meiner Abiturrede an Hand von vier berühmten Zitaten belegen.

Kleiner Scherz… aber es ist schön, dass man auch in Zeiten von Büchern wie dem „Circle“ immer noch keine Gedanken lesen kann! (Mein Kurs erinnert sich bitte an das Ende des Romans…)

Nein! Liebe Abiturientinnen und Abiturienten – die politisch korrekt gegenderte Ansprache wird aber dennoch diese Rede etwas in die Länge ziehen - , ich möchte vielmehr ein paar Erinnerungen Revue passieren lassen, die mich in den letzten fünf Jahren eurer Schulzeit begleitet haben.

Nun ist die Aussage des Zitats von Robert Schumann natürlich nicht von der Hand zu weisen, und der Lernprozess als solcher ist etwas, welcher uns das ganze Leben begleiten wird – euch, mich und auch alle anderen hier im Saal. Man nennt das speziell für Jugendliche „Erfahrungen sammeln“ „das Hineinwachsen in das Erwachsenenleben“, kurzum: einen „Reifeprozess“.

Diesen Reifeprozess – Betonung liegt hier auf „Prozess“ – nahm ich das erste Mal wahr, als meine erste Klasse am Hannah-Arendt-Gymnasium, die 8d, im Frühsommer 2014 auf Klassenfahrt ging. Dominiert von wanderfreudigen Schülerinnen und Schülern wollten wir drei Tage in der Jugendherberge Elmstein verbringen, durchaus eine recht… traditionelle… Unterkunft. Und da „Klassenfahrt“ etwas mit Bewegung zu tun hat, schlug ich vor, vom Bahnhof Neidenfels aus mit dem Gepäck circa 10 Kilometer über Esthal nach Elmstein auf pfälzischen Wanderwegen zurückzulegen. Und da kam tatsächlich die Frage von einem Klassenmitglied: „Kann ich da auch einen Rollkoffer mitnehmen?“

Jaja, es ist des Lernens kein Ende….

Übrigens, die Klasse hat diese Wanderung hin und zurück ohne Murren durchgezogen; die Stimmung war richtig gut, vielleicht auch, weil man mit dem extern herbeigeschafften Pokerkoffer und den daraus resultierenden Pokerrunden ebenfalls viel „Lernen“ konnte.

Ein Jahr später ging ich mit der kompletten 9. Jahrgangsstufe auf die traditionelle Klassenfahrt nach Berlin. Bei der Einfahrt in den Berliner Hauptbahnhof sagte eine Stimme – ich kann mich nicht mehr erinnern, ob Junge oder Mädchen, „Boah, der ist größer als Mußbach!“. Ich weiß bis heute nicht, ob er oder sie den Mußbacher Bahnhof oder ganz Mußbach meinte. Jedenfalls waren die meisten Schülerinnen und Schüler zum ersten Mal mit der deutschen Hauptstadt in ihrer Größe, dem soziokulturellen Umfeld und nicht zuletzt dem Streckennetz von Bus, S-, U- und Straßenbahn konfrontiert, sodass die Gruppen schon allein aus reinem „Selbsterhaltungstrieb“ immer schön zusammenblieben und pünktlich an den vereinbarten Treffpunkten auftauchten. Auch das, ein „Lernprozess“!

Ein Schuljahr später gingen zwei Kolleginnen und ich mit mehr als der Hälfte der damaligen Stufe erstmals auf eine Englisch-Studienfahrt nach Hastings südwestlich von London. Als wir im Örtchen Rye einen kurzen Zwischenstopp einlegten, mussten einige Schüler (man beachte die Absenz der weiblichen Form!) unmittelbar nach dem Halt des Busses direkt an der gut befahrenen Straße auf dem schmalen Bürgersteig Fußball spielen. Hohe Flanken…. Mir lief es eiskalt den Rücken herunter und ich fragte mich, ob eingen des Lernens, nun ja, doch ein frühes Ende gegeben sei… Vielleicht war es aber auch nur ein ganz kleiner Rückschlag in einem kontinuierlichen Prozess.

Alles in allem war es eine tolle Fahrt – und wir erwähnen das schimmelige Brot jetzt mal nicht!

Die Kursfahrt der Jahrgangsstufe 11 führte uns dann an den Gardasee. Da unser Jahrgang recht überschaubar ist, fuhren wir alle nach Peschiera del Garda – ein schönes Gemeinschaftserlebnis! Der Campingplatz San Benedetto bot ein ziemlich breites Spektrum an Klassen und Kursen aus ganz Deutschland. Doch hier zeigte die Jahrgangsstufe Respekt, Souveränität und Abgeklärtheit im Umgang mit anderen Schülergruppen, so dass wir trotz der aufgeplusterten Security-Typen auf ihren Wachrunden gemütliche Abende verbringen konnten.

Es waren eher die Lehrer, welche am ersten Abend wohl auf den Spuren von Robert Frost wandelnd (ich sage nur: „two roads diverged…“) beim Spaziergang die falsche Abzweigung nahmen, und daher einen nicht ganz kleinen Ortsteil von Peschiera per pedes erkunden durften, ehe wir wieder durch das Tor des umzäunten Campingplatzes kamen.

Ja, es ist des Lernens kein Ende!

Und das Fazit? Zum ersten: ich bin mit einigen von euch seit der 8. Klasse jedes Jahr weggefahren und zweitens: Ja! Man kann mit euch super gut auf Tour gehen!

Und nun? Ihr habt nun euer Abitur, und auch ich werde mit euch nicht mehr wegfahren – schade eigentlich!

An dieser Stelle möchte ich mir erlauben, einen Tropfen Wehmut in die Rede zu gießen – ihr, die 8d, wart meine erste (Englisch)Klasse an diesem Gymnasium, und ich habe auch die komplette 8. Jahrgangsstufe damals epochal in Musik unterrichtet. Und dann natürlich der Englisch-Leistungskurs als Stammkurs… Daher fühle ich irgendwie eine besondere Verbindung zu eurem Jahrgang und es ist immer etwas Besonderes, wenn solch eine Stufe die Schule verlässt…

Oscar Wilde sagte einmal: Nur Persönlichkeiten bewegen die Welt, niemals Prinzipien.

Ihr werdet in eurem weiteren Leben sicher mit vielen „Prinzipien“ konfrontiert werden. Mögen es Regeln, Vorschriften, Beschränkungen oder andere vorgefasste Denkstrukturen sein. Prinzipien sind zweifellos wichtig: sie setzen bestimmte Rahmen, in denen man sich bewegt und die einen leiten. Ein solches Set von „Rahmen“ ist euch allen sehr vertraut: es ist dieser Raum hier, unsere Schule. In den zurückliegenden acht Jahren habt ihr euch an die Spielregeln des Hannah-Arendt-Gymnasiums halten müssen, habt fleißig gelernt – manche mehr, manche weniger – und habt auch gelernt, vorgegebene Freiräume selbständig zu nutzen.

So gesehen ist das Ganztagsgymnasium eigentlich ein Ort, an dem bestimmte Prinzipien, welche das Ganztagssystem ausmachen, eurer Persönlichkeit individuelle Entfaltungs-möglichkeiten bieten. Und ich hoffe, dass es uns Lehrenden gelungen ist, euch in diesem Prozess zu unterstützen.

Jetzt habt ihr also euer Abitur und habt euch in eurer zurückliegenden Schulzeit zu Persönlichkeiten entwickelt. Jetzt wartet nur noch die Welt darauf, von euch „bewegt zu werden“. Und um das zu tun, seid ihr dabei, diesen Rahmen der Schule zu durchschreiten und euch geleitet von neuen Prinzipien weiterzuentwickeln. Einige von euch werden im Herbst anfangen zu studieren, andere werden eine Ausbildung beginnen. Einige werden noch etwas warten; entweder weil sie noch nicht wissen, wohin der nächste Lebensabschnitt führen soll oder weil es sich gerade jetzt anbietet, die Welt ein wenig zu erkunden und jenseits der Pfalz Erfahrungen zu sammeln.

Und das ist gut so! Doch egal, wohin es euch verschlägt, lasst euch im Sinne von Oscar Wilde nicht von allgemein vorherrschenden Denkmustern dirigieren oder gar manipulieren! Vieles wird auf euch einstürzen, und jetzt, wo der von euch manchmal sicher nicht geliebte, aber dennoch beschützende und leitende Rahmen der Schule nicht mehr existiert, müsst ihr euch selbst euer Bild vom Leben machen.

Im Zeitalter von digitalen Massenmedien, oder auf Neudeutsch „social networks“ und „alternative facts“ ist es nicht leicht, den Überblick zu behalten und zu lernen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“.

Deshalb: hinterfragt bestehende Prinzipien, seid kritisch, prüft vorgegebene Meinungen, glaubt nicht blind (vor allem nicht den Massenmedien – mein Kurs weiß, ich bin auch auf Grund meiner Sozialisation in dieser Beziehung etwas paranoid) – vor allem: seid ihr selbst! Lasst euch nicht verbiegen, sondern – sorry, das abgewandelte Zitat klingt jetzt wirklich abgedroschen, aber es stimmt ja dennoch: „Geht euren eigenen, euren individuellen Weg!“

Denn nur so werdet ihr euch in eurer Persönlichkeit weiterentwickeln, um die Welt bewegen zu können.

Gemäß des Leitsatzes von Robert Schumann ist der Erwerb eurer Hochschulreife nur ein kleiner Schritt auf eurer Lebensbahn. Ihr werdet noch viele weitere Herausforderungen meistern müssen, aber denkt daran: Ob ihr euch mit Rollkoffern durch dorniges Gestrüpp kämpft, die öffentlichen Verkehrsnetze von internationalen Metropolen bezwingt, oder an Superhighways Fußball spielt – lernt weiter, macht Erfahrungen (gute wie schlechte), seid kritisch, aber offen für Neues! Nur so findet ihr Zufriedenheit, Erfüllung und euren wahren Platz in eurem zukünftigen Leben.

Oder, um abschließend noch einmal mit Robert Frost zu sprechen: seid ihr selbst, denn „that has made all the difference“.           

In diesem Sinne wünsche ich euch alles Gute für euer weiteres Leben!

 

Autor: Ulrich Strehle