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Abiturrede 2015 - Harald Hanebauer

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Eltern,

ich begrüße Sie alle zu der diesjährigen Abiturfeier am  Hannah- Arendt-Gymnasium. Schon wieder ist ein Jahr vorbei und schon wieder haben wir an unserer Schule fantastische Ergebnisse erzielt.
105 Schüler und Schülerinnen haben das Abitur geschafft, 27 davon sind unter einem Schnitt von 2,0 geblieben, 2 davon haben die Traumnote 1,0 geschafft.
Hut ab und Respekt dafür.

Dafür habt ihr Applaus verdient.


Ihr, liebe Abiturienten, habt mich gebeten, eure Stufenrede zu halten, was ich gerne tue, auch wenn das anfangs anders angekommen ist. Spätestens nach Tatjanas Kuchen war aber alles klar.
Ich habe knapp die Hälfte von euch in meinen beiden Grundkursen Sport und Deutsch unterrichtet und fast alle habe ich irgendwann in eurer schulischen Laufbahn kennen gelernt, denn ich bin genau so lange am HAG wie ihr. Ich habe also ein ganz gutes Bild von euch.

Hakuma matabi ist das diesjährige Abimotto - haste Abi - biste König ist eure Interpretation.

Lasst mich kurz festhalten, wie ich eure königliche Entwicklung gesehen habe.

Orientierungsstufe

Klasse 6- Schwimmen- Wenn der Bus gekommen ist, hat es immer das übliche Geschubse und Gedränge gegeben, obwohl immer genug Platz war. Im Badepark wollte jeder in die Einzelkabine, niemand in die Sammelumkleide. Es war auch lustig, dem Geplumpse und Geplatsche zuzusehen.
Franz sagt in Schillers Räubern: „Schwimme, wer schwimmen kann, wer zu plump ist, gehe unter“.
Bei diesem Chaos und bei der Lautstärke kommen manchmal schon außergewöhnliche Gedanken auf.

Sie, liebe Eltern, haben aber Ihre Kleinen immer wieder zurück bekommen, denn wir haben am Ende der Stunde immer den Beckenboden kontrolliert.
Um Missverständnisse zu vermeiden- der Boden des Schwimmbeckens ist gemeint.

Mittelstufe

Die Mädchen erkennen, dass die Jungs nicht mehr ganz so blöde sind, zumal die aus den oberen Klassen nicht. Die Jungs werden kampfbereiter, vermeintlich auch breiter, und wollen ihre Kräfte messen. Auch bei den Jungs kommt irgendwann dann die Erkenntnis, dass die Mädchen doch nicht so blöde sind. Pärchen finden sich, vorm Unterricht wird sich abgebusselt. Nach den Ferien werden körperliche Veränderungen wahrgenommen, mit meinen 1,83 m war ich mal groß in den Klassen.
Das ist vorbei. Irgendwann hat dann auch der Hormonspiegel seinen Höhepunkt erreicht und  man kann wieder halbwegs vernünftig mit den Kids reden. Dann kommt die Fahrt nach Berlin, ihr hattet tolle Erlebnisse in der Hauptstadt, es gibt die letzten Gemeinsamkeiten im Klassenverbund.

Oberstufe

Ihr wolltet schon lange in den MSS- Saal, jetzt seid ihr angekommen. Da wird  gechillt, gekuschelt, Musik gehört. In Stufe 12 kann man die Orientierung aufs Abi erkennen, es gibt  Kursfahrten ins nahe europäische Ausland und eure Vorstellungen von dem, was die Welt bieten kann,werden präziser.
In der Projektwoche bin ich auf Trekkingtour mit 13 jungen Leuten unterwegs, die sich in der Hitze mit knapp 20 Kilo Gepäck durch den Pfälzer Dschungel quälen und Spaß haben. Bei unserem Besuch beim“ Aldi“ in Iggelbach,einem ca.5qm kleinen Garagenladen, hat die Chefin Erbarmen mit uns geschundenen Kreaturen und spendet 2 Weizen für die 14 wild aussehenden Fremden, die aber eine ähnliche Sprache sprechen. Ich denke, so was verbindet und bleibt ewig. Insgesamt mehr als 100 km reißen wir runter und niemand klagt.

Was mich beeindruckt hat und gelebt wurde:

Zusammengehörigkeitsgefühl und Teamgeist, viel Spaß und Freude, Disziplin, Willensstärke, Erkennen von Grenzen, Respekt, Toleranz, Rücksicht, Benehmen.

Das sind Werte, die man auch im alltäglichen Leben gerne gelebt hätte.
Danke den Jungs, die dabei waren, für ein unvergessliches Erlebnis.
Danke an der Stelle auch dem Männerballett für das Geburtstagsständchen an meinem runden Geburtstag vor 14 Tagen. Da, liebe Lisa aus meinem Grundleistungskurs Sport, dürfen auch mal

durchtrainierte Leichtathleten mit Astralkörpern

(Zitat aus der aktuellen Abizeitung)

sentimental werden.

Weiter geht’s.

Allmählich setzt man Scheuklappen auf, jeder hat das Abi im Fokus, Punktefeilschen, Lernen, Lernen, Lernen. Schriftliches Abi, mündliches Abi, nochmals das volle Programm, aber zwischendurch immer wieder mal feiern.

Geschafft!

ABI 2015

Die Exposition in eurem Buch des Lebens ist jetzt geschlossen und nun kommt der Hauptteil. Auch hier gibt es eine schöne Parallele zwischen uns. Ihr habt ca. 40 Jahre Arbeitsleben vor euch, ich habe das Arbeitsleben zwar noch nicht hinter mir, aber vor 40 Jahren das Abi gemacht. Wir sind bei eurem Abislogan aus Walt Disneys „König der Löwen“ angekommen. Hakuna matata ändert ihr um auf hakuna matabi- haste Abi- biste König. Als oberflächlicher Leser oder Zuhörer könnte man meinen, da hat ein Jahrgang keine Zeit oder Lust gehabt, sich einen vernünftigen Slogan auszudenken.
Was aber an Tiefgang, an philosophischem Gehalt, an politischem Verständnis und sozialgeschichtlichem Neuansatz in diesen vermeintlich hingeworfenen Worten verborgen ist, wird
erst nach den feinen Skalpellschnitten des Deutschlehrers erkennbar. Zur Erinnerung- In Disneys Film geht es um das Löwenjunge Simba, das auf einem beschwerlichen Weg seinen Platz im Leben sucht.

Hakuna matata wird  übersetzt mit „keine Sorgen, alles in bester  Ordnung, keine Schwierigkeiten“.

In Kenia hat man den Slogan als Leitmotiv in der Touristikbranche verwendet, in Deutschland  war er auf Platz 5 der beliebtesten Jugendwörter im Jahr 2013. Meine Quelle ist euch allen bekannt- das was immer unter den Referaten gestanden hat- Wikipedia. Hakuna matabi - durch die subtile Veränderung lediglich einer Silbe gelingt es euch, völlig andere Sachverhalte zu kreieren.

Haste Abi - biste König.

Formal ist festzustellen, dass durch den Einsatz von Ellipsen in Verbindung mit der Umgangssprache offensichtlich eine Nähe zu den Zuhörern geschaffen werden soll, also zu Ihnen, zu uns allen. Eine Vertrautheit und Gemeinsamkeit, die gut tut und vielleicht auch sorgenfrei macht.
Also- hier spricht jemand meine Sprache, da fühle ich mich wohl. Einsatz des Trochäus, hart klingend, Fakten festhaltend, verstärkt durch männliche Kadenzen. Ein Binnenreim, haste,biste, ist zu erkennen.
Auf der Inhaltsebene erkennen wir deutlich die Anknüpfung an die Philosophen der 70er Jahre, hier besonders an Erich Fromm. Sein Werk „Haben oder Sein“ hat euch offensichtlich stark beschäftigt und während Fromm den Seinsgedanken in den Fokus rückt, löst ihr den Diskurs dahingehend und durchaus durchdacht, dass ihr euch keine Scheuklappen aufsetzt und einfach alles wollt.
Haben und Sein, das ist für euch kein Widerspruch,was geht, geht.
Weitere Deutungsaspekte- durch die evidente Anbindung eures Slogans an aktuelle Monarchien lässt sich gegebenenfalls festhalten, dass ihr die bestehenden Königreiche in Frage stellt und implizit mehr Bildung und Volksnähe empfehlt. Also, das, was ihr bei uns gelernt habt!

Haste Abi, biste König.

Die Umgangssprache habe ich ja bereits bei der formalen Analyse angesprochen. Was mir aber Analyseprobleme bereitet hat, ist der Terminus „König“. Da ist eindeutig eine maskuline Formulierung, überspitzt ein Seximus. Mehr als die Hälfte des diesjährigen Abijahrgangs ist weiblich , deshalb sehe ich eine ungeklärte Genderthematik, die ins Grenzenlose gehen kann, wenn man berücksichtigt, dass wir im nächsten Jahr 30 % weibliche Aufsichtsräte haben.

Wo also bleibt die Königin?

Mädels, wo eure Antwort?

Ich bin mir sicher, dass ihr eine habt, teilt mir das heute Abend mit, damit ich mich nicht weiter plage.

Zur Information- meine Analysemethode nennt man Hermeneutik, grob übersetzt mit Wissenschaft, die liest, was nicht dasteht. So was habt ihr auch in der Schule gelernt.

Sie, liebe Eltern, haben sich vor neun Jahren entschieden, einen Teil Verantwortung an uns Lehrer abzugeben, in der Hoffnung, dass Ihre Sprösslinge bei uns gut aufgehoben sind. Wenn Sie sich heute diese jungen Erwachsenen ansehen,glaube ich, glaubt unser Kollegium, dass Sie Ihre damalige Entscheidung nicht bereuen müssen. Sie können stolz auf Ihre Kinder sein. Wir Lehrer sind das auch, weil wir Teil eines schönen Entwicklungsprozesses gewesen sind. Heute geben wir Ihnen also unseren Teil der Verantwortung zurück und  wir sind zuversichtlich, dass Sie diesen Teil auch weiterhin richtig einsetzen.

So ihr ehemaligen 13 er, ihr habt jetzt Abi und  seid in der Lage, ein Gedicht in drei Sprachen zu analysieren, aber könnt keine Waschmaschine bedienen.
Die Bloggerin Jaina hat sich derart vor einigen Wochen geäußert:

Als ich Abi hatte, konnte ich beides nicht, aber ich habe und musste innerhalb von kurzer Zeit verdammt viel dazu lernen.

Warum?

Weil das Leben so ist und vieles falsch läuft.

Falsch ist auch zu glauben, dass man bedient wird und vieles eine Bringschuld sei. Der größte Teil ist nämlich eine Holschuld. Da darf man sich dann auch gerne mental von der Schule und vom Elternhaus entfernen. Und auch mal schwarz und weiß mit 80° waschen und sehen,was rauskommt. Zumindest ein Erfahrungswert mehr.
Es liegt mir nicht, euch Lebensweisheiten und Erfahrungswerte mitzugeben, nur ein Dankanstoß. Ihr gewinnt, ihr verliert,manchmal habt ihr Glück, dann aber Pech, ihr habt Spaß und Kummer, einmal seid ihr gesund, dann krank. Aber - lasst euch nie unterkriegen, auch wenn ihr mal scheitert.

Bleibt so, wie ihr uns in Erinnerung bleiben werdet:

Tolle, sympathische, freundliche und optimistische junge Leute mit ganz viel  Lebenslust.

Bleibt Menschen!

Euren Wechsel in eine andere, neue Welt hat Hilde Domin wunderbar formuliert:

Ich setzte den Fuß in die Luft...und sie trug.

Alles Gute für euch!

Autor: Harald Hanebauer