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Abiturrede 2020 - Herr Ulrich Strehle

Liebe Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen, aber vor allem liebe Abiturientinnen und Abiturienten!

Als ich vor zwei Jahren die Abiturrede halten durfte, sah die Welt noch etwas anders aus. Wir hatten uns wie immer in der Aula versammelt, die Abiturientinnen und Abiturienten blickten erwartungsvoll in die Runde, zusammen mit ihren Eltern, Großeltern, Geschwistern und Freunden. Mit anderen Worten: die Hütte war voll!

Heute ist das eine ganz neue Situation. Wir sind zwar wieder hier in der Aula, aber leider ohne eure Eltern, sonstige Verwandte und Freunde. Selbst das Kollegium ist nur in reduzierter Zahl dabei. Andererseits wird eure Abiturfeier live gestreamed, und ihr könnt euch diese Feier immer wieder anschauen das gab es in der Geschichte des Hannah- Arendt-Gymnasiums auch noch nicht.

Das ist schon eine verrückte Zeit und das Jahr 2020 wird für euch doppelt in Erinnerung bleiben.

Es ist das Jahr, in dem ihr trotz widriger Umstände mit dem Abitur eure Hochschulreife erreicht habt. Ihr habt in Zeiten von Kontakteinschränkungen, Vorsichtsmaßnahmen und ungewöhnlichen Prüfungsbedingungen es gemeistert, durch die schriftlichen und mündlichen Abiturprüfungen zu kommen. Das war sicher nicht leicht, und der eine oder die andere wird mit gemischten Gefühlen in die Prüfungen gegangen sein. Dennoch habt ihr es alle trotz der schwierigen Zeit erfolgreich geschafft! Dafür schon einmal einen Herzlichen Glückwunsch! (Applaus des Kollegiums)

Es ist aber auch das Jahr, welches durch SARS-CoV-2 weltweit in die Geschichte eingehen wird. Diese Pandemie stellt unser ganzes Leben auf den Kopf und stellt uns vor komplett neue Herausforderungen. Doch was bedeutet das für euch? Da ihr ja neben dem von Fachwissen dominierten Abitur quasi so nebenbei in diesem Jahr, auch die „Coronakrise“ bestehen musstet (und weiterhin müsst) welche Lehren könnt ihr daraus ziehen?

Das soziale Miteinander hat sich verändert. Manche Menschen fielen auf einmal in eine „Risikogruppe“ und es wurde davor gewarnt, mit ihnen, zu ihrem eigenen Schutz (zu dem manche nicht einmal gefragt wurden), alle Kontakte herunterzufahren. Gleichzeitig hieß es, „soziale Kälte“ zu vermeiden. Eine schwierige Situation.

Aber gerade in dieser Zeit ist es wichtig, zusammenzustehen! Eine Nachbarin kam auf meine allein in Berlin lebende 84-jährige Mutter zu und bot sich an, für sie einzukaufen. Einfach so.

Es ist diese Form der Solidarität, die wir in dieser Zeit neu erleben und welche wir in unserer manchmal egoistisch geprägten Gesellschaft jetzt neu definieren können!

Wir leben in dem sogenannten „digitalen Zeitalter“. Die Pandemie hat die Schulen dazu gebracht, die Digitalisierung voranzutreiben, und das sowohl bei euch, als vor allem auch bei uns Lehrerinnen und Lehrern. Wir alle haben, denke ich, in dieser Beziehung einiges dazugelernt. Aber dennoch, die schönste Unterrichtsstunde via Moodle, Zoom, Jitsi oder sonst einer Plattform kann meiner Meinung nach nicht den persönlichen Kontakt und das Miteinander ersetzen. Mir haben die Diskussionen, die Rollenspiele, die Späße, das gemeinsame Agieren in den letzten Monaten einfach gefehlt! Vergesst bitte nicht, dass es außer dem Chatpartner oder dem gefilmten Gegenüber auf dem Tablet auch „draußen in echt“ noch lebendige Personen gibt, mit denen man einfach so face-to-face kommunizieren kann.

Da wir gerade von digitalen Medien sprechen besonders in der heutigen Zeit scheinen Medien unser Denken zum Teil zu bestimmen. Wir erfahren tagtäglich die neuesten Corona- Infektionszahlen, werden mit Quoten von Verstorbenen, Ansteckungsquotienten und Zahlen der Genesenen konfrontiert. Gleichzeitig warnen Wissenschaftler vor Entwicklungen oder kritisieren diese Aussagen von anderen Kollegen... Manche Politiker leugnen sogar die Existenz des Corona-Virus und nutzen die Situation, um in Brasilien weiterhin ungestört hektarweise Tropenwald abzuholzen oder legen der Bevölkerung nahe, Desinfektionsmittel zu sich zu nehmen...

Was könnt ihr daraus lernen? Geht kritisch mit den Medien um! Glaubt nicht, was irgendeine Person oder Studie euch weismachen will! Seid in dieser Beziehung lieber misstrauisch als gutgläubig! Forscht selber nach, sucht nach weiteren Meinungen und bildet euch am Ende euer eigenes Bild! Unsere digitale Welt bietet viele Vorteile, aber hat auch – was die „Wahrheit“ anbelangt - ihre Nachteile. Seid euch auch vor allem in dieser Zeit dessen bewusst!

Wir leben in einer globalisierten Welt. Auch das ist uns durch Corona wieder schmerzhaft bewusst geworden. Sicher wollten viele von euch nach dem Abitur ein Jahr im Ausland verbringen. Die globale Welt lädt ein, sie kennenzulernen und es gibt kaum einen besseren Zeitpunkt als den zwischen Abitur und Studium. Aber wahrscheinlich wird das für einige von euch dieses Jahr leider nicht zu realisieren sein.

Wenngleich viele von euch nicht sofort in die Ferne schweifen können, ist trotzdem klar, dass die Welt nicht nur aus Haßloch und den umliegenden Dörfern wie Speyer, Meckenheim oder Neustadt besteht! Ihr seid Pfälzer, ganz klar, aber auch Deutsche und vor allem Europäer!

Seit über 70 Jahren leben viele verschiedene Nationen und Kulturen friedlich in Europa zusammen. Das ist eine Errungenschaft der Europäischen Union.

Nun ist es immer leicht, einer solchen Union in guten Zeiten anzugehören, aber was passiert, wenn es mal nicht so gut läuft? Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie zerbrechlich diese Union ist. Es gibt viele Länder, welche ihr individuelles Wohl über das der europäischen Gemeinschaft stellen. Denken wir dabei nur an die längst vergangen geglaubten Zwistigkeiten an der deutsch-französischen Grenze keine 40 Kilometer südlich von uns!

So etwas sollte im Jahr 2020 nicht mehr passieren. Ihr seid eine junge Generation, welche um die Jahrtausendwende geboren wurde. Ihr habt das Glück, in eine Zeit hineingeboren zu sein, welche weder große politische Spannungen noch stumpfe nationalistische Vorurteile gegenüber Nachbarstaaten kennt. Nutzt die Vorteile unserer europäischen Gemeinschaft und denkt über den nationalen Tellerrand hinaus!

War da was vor Corona? Gab es da nicht so etwas wie Freitagsdemos von Schülerinnen und Schülern? Ach ja, der Klimawandel! Wer erinnert sich noch an Greta Thunberg? Komisch, jetzt hört man überhaupt nichts mehr davon, als wäre dieses Problem überhaupt nicht mehr relevant oder existent... Aber es ist immer noch genauso aktuell und wichtig!

SARS-CoV-2 zeigt uns zudem, dass wir Menschen nicht die Meister dieser Welt sind, und das ist vielleicht auch gut so. Wir sollten uns bewusst werden, dass wir die Natur und unsere Erde nicht endlos ausbeuten und bestimmen können, sondern die Natur am letzten Ende über unser Schicksal welches wir uns wahrscheinlich selbst geschaffen haben bestimmen wird.

Nehmt aus dieser Krise auch den Gedanken mit, dass unser Planet einzigartig ist, und wir nur diesen einen haben. Denkt und handelt nachhaltig und vergesst nicht, dass alles, was ihr jetzt tut, später für eure Kinder und Enkel relevant sein wird.

Ein alter Freund sagte mir vor einigen Wochen, dass wir beide nun schon zwei einschneidende historische Geschehnisse miterlebt hätten: die Wende und die folgende Wiedervereinigung Deutschlands und das „Corona-Jahr“. Ich wünsche euch, dass, wenn ihr in eurer Zukunft weitere „einschneidende“ Zäsuren erfahrt, diese weitaus positivere Inhalte haben als das „Corona-Jahr!

Wie ich eingangs bereits sagte, ist 2020 ein ganz besonderes Jahr, vor allem für euch! Und wenn ihr es im Laufe eures Lebens in Erinnerung behalten werdet, denkt vielleicht ab und zu nicht nur an die Pandemie, sondern auch an euer Abitur und die damit verbundene Schulzeit zurück. Ihr habt hier in den letzten acht Jahren den Großteil eures Schultages verbracht, habt

Freundschaften geschlossen, habt gelitten und euch aber auch gefreut. Doch das liegt nun hinter euch!

Mit dem Abitur habt ihr die Seite eines Kapitels in euerm Lebensbuch zugeschlagen, aber gleichzeitig auch eine neue Seite eines anderen Kapitels geöffnet. Seid neugierig, offen und mutig, dieses Kapitel neu zu schreiben! Und dabei wünsche ich euch viel Erfolg!

Alles Gute und vielen Dank!

 

 

Autor: Ulrich Strehle