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Abiturrede 2024 - Herr Richard Städtler

Sehr geehrte Eltern und Familien,
liebes Kollegium,
sehr geehrte Gäste,
vor allem aber liebe Abiturientinnen und Abiturienten!

Am 29.08.2016 habt ihr diese Stätte eurer späteren, selbsterklärten, Göttlichkeit zum ersten Mal als kleine, neugierige und wissensdurstige 5. Klässler betreten. Z.T. etwas ehrfurchtsvoll und ängstlich, z.T. voller Tatendrang und mit einem Haufen Blödsinn im Kopf – manche Dinge haben sich seitdem nicht geändert.

Seitdem sind 2867 Tage vergangen in denen ihr etwa 256 Lekos und HÜs und mindestens, ich habe nachgezählt, 135 Klassen- und Kursarbeiten, mal mehr, mal weniger erfolgreich hinter euch gebracht – und in 96 Wochen Ferien erfolgreich Vieles des Gelernten direkt wieder vergessen habt. Außerdem habt ihr In 42 Wintrio-Runden nicht nur Kopfrechnen gelernt, sondern in stufeninternen Turnieren auch ein für alle Mal bewiesen, welcher der Mathekurse die Krone dieser Disziplin trägt! Aber das Allerwichtigste: Nachdem ihr in vier plus x Abiturprüfungen euer Können gezeigt habt, steht eines fest:

Ihr habt es geschafft!

In ein paar Minuten haltet ihr euer Abiturzeugnis in Händen. Den Schlüssel, mit dem sich für euch so viele Türen öffnen werden. Dazu, im Namen des Kollegiums, meinen herzlichen Glückwunsch!

„Abilymp – ein göttlicher Abgang“ – was heißt das eigentlich?
Naja, zunächst einmal scheint es eine Anerkennung eurer herausragenden Leistungen in den vergangenen Jahren, insbesondere aber Monaten und Wochen des Abiturs. Darauf dürft und sollt ihr stolz sein!

„Abilymp“ ist aber auch eine Reminiszenz an den Olymp, den Sitz der Götter – wobei jetzt nicht näher spezifiziert wurde, wen in der Schulgemeinschaft ihr damit meint….
Aber egal wie, habt ihr diesen Berg jetzt mit Erreichen des Abiturs offensichtlich bestiegen.
Und jetzt? Jetzt kann es konsequenterweise nur noch bergab gehen – was sollte sonst der zitierte „göttliche Abgang“ bedeuten?

In Teilen stimmt das vielleicht sogar, denn man sagt, dass man nie mehr ein so großes Allgemeinwissen habe, wie zu Zeiten des Abiturs und danach die Zeit des Spezialwissens käme. Ihr könnt jetzt z.B. ergründen, wie das Grubenorgan der Klapperschlange funktioniert, oder könnt den Aufbau eines klassischen Dramas von dem eines menschlichen Muskels unterscheiden… Ihr wisst, was Ritter Sport Schokolade mit Pythagoras und der kategorische Imperativ mit Schwarzfahren zu tun hat. Ihr könnt Gedichte interpretieren, die Merkmale der späten Gotik nennen und wisst in mindestens zwei Fremdsprachen, was Marienkäfer heißt (ladybug und coccinelle – oder coccinellidae, für die Lateiner).
Das meiste davon braucht ihr vermutlich so schnell nicht wieder, aber ihr wisst es.

Und natürlich habt ihr auch sinnvolles Wissen angehäuft. Z.B. Was man mit einem Einkaufswagen alles anstellen kann. Oder warum die Glasduschkabine einer Mainzer Unterkunft nicht das optimale Versteck für Bierkästen ist. Oder dass das optimale Mischverhältnis für einen Gin Tonic 47:11 beträgt.

Aber auch wenn man vermeintlich alles googlen kann, schadet es nicht, das ein oder andere im Kopf zu haben und zu behalten.
Denn der Wortwitz (sorry, ich konnte nicht drum herum):
„Poseidon war der Ozean nie genug, er wollte immer Meer“ - … - der ist ohne Wissen nicht zu verstehen – besser wird er zugegebener Maßen dadurch allerdings auch nicht.

Was ihr bei all dem aber wirklich gelernt habt, ist zu analysieren und zu strukturieren, Sachverhalte zu hinterfragen und zu verknüpfen, Inhalte zu lernen und zu verstehen, kritisch zu denken und zu reflektieren.
Kurzum: Wahres von Falschem, Fakten von plumpem Populismus zu unterscheiden. Ich erinnere mich, dass ihr das bereits in der 9. Klasse sehr gut konntet, als wir im WPF Informatik Falschaussagen in Nachrichten entlarvt haben. Ihr werdet es weiterhin brauchen!

Und das nicht nur, weil Verschwörungstheoretiker und Weltuntergangsapostel von Echsenmenschen und einer Weltregierung faseln. Nein. Wenn eine in Teilen gesichert rechtsextreme und vom Verfassungsschutz beobachtete Partei, die für sich in Anspruch nimmt, den „Mut zur Wahrheit“ zu haben, mit einem Stimmenanteil von fast 16% zweitstärkste Kraft bei der Europawahl in Deutschland wird, kann man, können wir, – könnt ihr – nie genug betonen, wie wichtig Fakten, sachliche und gut recherchierte Information, kritisches Hinterfragen und Wissen sind, um denen, die vermeintlich einfache Lösungen anbieten, die Bühne zu nehmen und nicht wieder zu geben.

„Mut zur Wahrheit“. Was ist das eigentlich, die Wahrheit? Ein Beispiel:
Wir Pfälzer sind der Meinung, dass die Pfalz der Mittelpunkt der Welt ist und der Ort, an dem einst das Paradies war. Und damit haben wir absolut Recht.
Das Problem dabei ist: Dasselbe behaupten von ihrer Heimat auch Engländer und Franzosen, Friesen und Bayern – sogar Saarländer.
Es ist eben manchmal schwer, die Wahrheit zu kennen.

Nur eines ist bei allem gerechtfertigten Patriotismus ganz sicher: Wir sind alle Europäer.

Das ist ein großes Wort.
Aber was es ganz offensichtlich bedeutet habt ihr erlebt. Es heißt z.B. im Gardasee schwimmen zu gehen (natürlich nur mit Lehrer) oder in einem spanischen Club zu feiern (natürlich nur mit über 18 ) – und das, ohne einen Reisepass zu besitzen, an der Grenze kontrolliert zu werden oder Geld umzutauschen.
Die Hastingsfahrt hat euch umgekehrt gezeigt, was es heißt, nicht mehr Teil dieses europäischen Gedankens zu sein.

In Abwandlung eines Zitats von Hannah Arendt, in dem Sie ursprünglich die Demokratie beschrieb, könnte man sagen: „Europa ist nicht nur ein politisches System, sondern eine Lebensweise.“

Es liegt an euch und uns diesen Gedanken, diese Lebensweise, zu bewahren und fortzuführen.

Um etwas fortführen zu können, muss man aber manchmal fortgehen. Vielleicht eine andere Lesart eures „Abgangs“?

Ich habe einige von euch gefragt, worauf ihr euch freut, was ihr vermissen werdet oder was sich schon geändert hat.

Die einen freuen sich auf ihren Urlaub, die anderen auf den Studienort. Der wiederum kann den einen nicht nah genug sein, den anderen nicht weit genug weg. Liebe Eltern, ich zitiere mal kurz: „Heidelberg? Nä. Das ist mir viel zu nah!“

Es gab aber auch erstaunlich selbstkritische Töne: Es sei schon cool, morgens ausschlafen zu können. Aber so ganz ohne Routine verwahrlose man schon ein Stück weit.

Einige äußerten auch Respekt vor dem was jetzt so kommt.

Nur bei Einem wart ihr euch alle einig: Freunde. Die werdet ihr vermissen. Und manchen stellt sich die Frage, wie es beim Blick in die Zukunft ohne sie weitergeht.

Das kann ich euch leider auch nicht sagen, denn dafür gibt es keine Blaupause. Aber ein paar Ideen hätte ich.

Ihr könntet es z.B. so halten wie aktuell bei der EM: (gesungen) „Walk on! Walk on! With hope in your heart, and you’ll never walk alone. (You’ll never walk alone…)”

Dieses Weitergehen braucht aber vor allem Eines, nämlich Mut!

Habt also Mut! Mut, eure Angst anzunehmen, daraus Energie und Kraft zu gewinnen. Und dabei ist es völlig egal ob es die diffuse Angst vor der Zukunft, die Angst vor der nächsten Prüfung, einem Auftritt oder einfach nur vor der Spinne an der Wand ist.

Habt den Mut, Entscheidungen zu treffen.
Ihr habt es sicher gemerkt: Es ist nichts passiert, falls ihr euch damals in der 10. Klasse auf die Frage (eines Mathelehrers), ob ihr lieber Eis essen gehen oder Kahoot spielen wollt, „falsch“ entschieden habt! Es wird auch nichts passieren, wenn ihr euch für einen, für euch letztlich ungeeigneten, Studiengang entscheidet. Hauptsache, ihr habt den Mut, die Entscheidung zu treffen, ihn dann wieder zu beenden.

Habt also den Mut, Fehler zu machen! Lasst den Freak aus euch heraus und habt Mut zum Risiko: Benutzt z.B. morgens Elmex und abends Aronal. Pinkelt beim nächsten Schwimmbadbesuch ins Becken – wenn ihr richtig mutig seid vom Fünfer.

Was ich damit sagen möchte: Seid verrückt und bekloppt. Denn wenn wir Menschen nie etwas Verrücktes, Verbotenes, Beklopptes oder Bescheuertes getan hätten, wäre auch nie etwas Vernünftiges dabei entstanden.

Habt Humor!
Humor trägt nicht nur dazu bei, Stress abzubauen, uns gesund zu halten oder schlechte Wortwitze zu ertragen.
Humor baut Barrieren ab. Er verbindet Menschen und verwandelt Mauern in Fenster.
Es gibt eben einen Unterschied, ob ein Staatenführer Witze sammelt, die Menschen über ihn machen, oder Menschen sammelt, die Witze über ihn machen.

Habt Spaß!
Darüber, dass ihr feiern könnt müssen wir uns definitiv keine Sorgen machen – und das ist gut so!
Habt aber auch Spaß in dem was ihr tut – und tut es nicht nur, um irgendwem zu gefallen.

Und habt Kraft!
Kraft, Rückschläge auszuhalten und zu verkraften.
Ihr werdet nicht immer nur Erfolg haben. Zum Erfolg gehört es auch zu scheitern, denn anders könnte man den Erfolg auch gar nicht genießen!
Das Leben ist eben kein ständiges Leben auf der Überholspur. Es hat Höhen und Tiefen – und auch das ist gut so! Denn immer nur auf Wolke 7 zu schweben und abgehoben zu sein, versperrt den Blick auf das was wirklich wichtig ist und macht sehr schnell einsam.

Apropos Wolke 7. Der Olymp ist zwar der höchste Berg Griechenlands. Mit seinen 2918 Metern Höhe ist er aber tatsächlich weit entfernt von den Top 100 der höchsten Berge der Welt – diese Liste beginnt nämlich erst bei 6323 Metern (wer schnell rechnen kann: Mehr als doppelt so hoch).

Egal also auf welchem Weg ihr euren Abgang bestreitet – sei es ein Studium, eine Ausbildung, ein FSJ oder eine Auszeit – für eure Zukunft nach dem Abgang muss euch definitiv nicht bange sein, denn es gibt noch genügend Gipfel zu erklimmen.

Bevor wir euch jedoch auf diese Reise entlassen und wir zur letzten, vielleicht interessantesten, Interpretation des Wortes „Abgang“ übergehen können, nämlich der des Abgangs eines Weines oder Sektes, erlaubt mir zum Abschluss ein paar persönliche Worte.

Vor ein paar Wochen, es war nach den Osterferien als ihr gerade nicht mehr im Unterricht wart, wurde ich gefragt, ob ich euch denn schon vermissen würde.
Meine Antwort damals: „Naja, ihr seid gerade nicht mehr da und ich habe aktuell weniger Unterricht… Lehrer sind da jetzt auch nicht viel anders als Schüler – Insofern…“
Aber mal ehrlich -
Wir haben uns jetzt 3, 5 oder sogar 7 Jahre lang mehr oder minder täglich gesehen. Wir haben viel zusammen gelacht – und ja, manchmal auch eine Träne verdrückt. Wir waren zusammen auf Klassenfahrt und sind uns sicher gegenseitig mehr als einmal auf die Nerven gegangen. Wir haben aber auch von Scribble über Kahoot bis Wintrio viel zusammen gespielt. Nicht zu vergessen natürlich die größere Zahl Kuchen, die zu unterschiedlichen „Anlässen“ verdrückt wurden. Einige unter euch haben mir auch Dinge erzählt, die von größtem Vertrauen zeugen. Da wäre es schon seltsam, wenn ich euch NICHT vermissen würde.
Also: Ja, ich werde euch vermissen. Ihr wart nämlich ein toller Jahrgang! Für mich ein besonderer. Vielleicht nicht göttlich, dafür aber umso menschlicher. Und das ist etwas, was es in unserer Gesellschaft braucht, aktuell vielleicht mehr denn je.

Bleibt bitte genauso!

Ich wünsche euch alles Gute, viel Spaß, das nötige Quäntchen Glück und viel Erfolg bei Allem, was ihr anpackt und passt auf euch auf!

Vielen Dank!

 

Autor: Richard Städtler