Abiturrede 2002 - Herr Peter Brech
Liebe Abiturientinnen, liebe Abiturienten, liebe Schülerinnen und Schüler,
verehrte Eltern, Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen,
was in einer Abiturrede zu sagen ist, könnte schnell gesagt sein: Ihnen und Ihren Eltern im Namen des Kollegiums einen herzlichen Glückwunsch, für Ihre persönliche und berufliche Zukunft alles erdenkbar Gute und die Kraft, Rückschläge und Krisen zu überwinden.
Das wäre dann wohl doch zu kurz!
Kurz und geistreich sollte sie sein, die Rede; kurz wird sie, ob geistreich müssen Sie am Ende selbst entscheiden.
Stadt in Italien, 4 Buchstaben... Sie ahnen es bereits. Eine Abiturrede im Jahre 2002, 4 Monate nach dem Erscheinen, muss wohl auf die PISA-Studie eingehen. Auch ich werde sie aufgreifen, allerdings nicht so, wie man es vielleicht erwartet. An dem heutigen Tag, an dem 67 jungen Menschen die Allgemeine Hochschulreife verliehen wird, möchte ich NICHT einstimmen in das allgemeine Klagen über fehlendes Wissen oder fehlende Kompetenzen. Wir bescheinigen Ihnen heute, genug Wissen angesammelt und genügend viele Kompetenzen entwickelt zu haben, um hoffnungsvoll den nächsten Lebensabschnitt anzugehen, sei es eine höhere Berufsausbildung oder ein Studium.
Vielleicht wäre bei dem ein oder anderen eine der uralten Tugenden noch zu verstärken, ich meine den Fleiß oder auch die Hartnäckigkeit, das Durchhaltevermögen, ein ungelöstes Problem so lange zu bearbeiten bis es gelöst ist. Ich möchte - zurück zu PISA - auch keine Vorschläge entwickeln, was man wo verbessern könnte; es würde Sie nicht mehr treffen!
Nur noch eine letzte Anmerkung: In einem Artikel in der ZEIT im Februar fand ich einen Satz, der mir bei der gesamten Diskussion um PISA besonders gut gefallen hat, der mir und meinen Kolleginnen und Kollegen aus der gewissermaßen Seele spricht: "Bildung hat im ‚Wer wird Millionär?-Deutschland' ein ungünstiges Klima." Ich behaupte: Solange gute Leistungen in den Augen der Mitschüler als Strebertum missverstanden werden, wird man sich weniger anstrengen. Solange viele Eltern lieber vorm Fernsehgerät sitzen als zu lesen, werden die Kinder auch kein Buch in die Hand nehmen. Solange Showstars oder auch Politiker fast schon damit prahlen "In Mathe war ich immer schlecht", solange wird dieses Fach immer im Ansehen zu kämpfen haben. Schaffen wir also ein Klima, in dem Lernen Spaß macht, schulische Leistung anerkannt und Bildung als Wert betrachtet wird, dann könnte schon PISA 2006 anders aussehen.
Zwei Rückblicke sollen im Mittelpunkt meiner Rede zum Abitur 2002 stehen: Der erste führt 25 Jahre zurück, zu meinem Abitur 1977. In wenigen Monaten habe ich mein silbernes Abiturjubiläum. Aber es waren andere Zeiten - damals. Als "Spätausläufer der 68er-Generation" wollten wir dies alles nicht: keinen festlichen Rahmen, keine Musik und auch keine Abiturrede. Es gab auch keinen durchorganisierten Abi-Streich. Spontan, in einer Nacht- und Nebelaktion bauten wir am Vorabend der Zeugnisausgabe auf der an der Schule angrenzenden Wiese Zelte auf und feierten eine Nacht lang. Am nächsten Morgen, im BK-Saal, in Jeans und T-Shirt erhielten wir, die Abiturientinnen und Abiturienten des Jahrganges 1977 vom Schulleiter das - gleichermaßen - ersehnte Zeugnis. Wenn ich mich jetzt so umschaue.... die Zeiten ändern sich!
Der zweite Rückblick geht weniger weit zurück: Am 8.März 1999, also vor fast genau 3 Jahren saßen hier in der Aula Sie, liebe Abiturientinnen und Abiturienten - etwas weniger gestylt - und auch Sie, liebe Eltern. Sie wurden informiert über die Organisation der Mainzer Studienstufe. In einer Powerpoint-Präsentation führten Herr Jung und ich Sie ein in das Regelwerk der Oberstufe, zu einem Zeitpunkt als - mal wieder - eine Reform anstand. Wenige Wochen zuvor war noch diskutiert worden, ob man die drei Zeiträume 11/1, 11/2 und 12/1 in EIN Schuljahr zusammenpressen kann, um dann im Februar mit dem Schuljahr 13 anfangen zu können, sodass im August das Halbjahr 13/2 begonnen hätte. Glücklicherweise sah man ein, dass diese tiefen Einschnitte in den Biorhythmus einer Schule noch weniger passten, als die letztlich herausgekommene Doppelwichtung des Halbjahres 11/2 für die Einführungs- und für die Qualifikationsphase und dem Zusammenlegen der Zeiteinheiten 13/1 und 13/2 zu einem Schuljahr 13. Über die Notwendigkeit von Unterricht nach dem schriftlichen Abitur darf ebenfalls nachgedacht werden und so bin ich der festen Überzeugung, dass diese Reform, die Ihnen, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, heute das erstmals vorgezogene Abitur beschert, nicht die letzte war; weitere Reformen werden folgen.
Nur wenige von Ihnen werden dem ursprünglichen Anspruch des Ministeriums gerecht und beginnen im Sommersemester mit dem Studium oder schon zum 1.4. mit dem Zivildienst. Die meisten warten bis zum Herbst mit allen Ungereimtheiten bezüglich Kindergeld, Sozialversicherung etc., um dann im normalen Rhythmus in die Berufs- oder Studentenwelt einzutreten. Ich bin gespannt, mit welcher Reform man diesem Missverhältnis entgegentreten wird.
Leistungsfachkombination, Grundfachqualifikation, Leistungsfach Gemeinschaftskunde mit Schwerpunkt Sozialkunde, fortgeführte Pflichtfremdsprache, Besondere Lernleistung (BLL) und, und, und... Viele solcher Wortungetüme gibt es in dieser Broschüre. Da wird gewählt und abgewählt, gewichtet und abgestuft, eingebracht und gestrichen, alles in allem ein wahrer Dschungel von Möglichkeiten und Vorschriften. Aber es darf keiner sagen, er hätte von nichts gewusst; Sie waren gut informiert. Sie kannten die drei Hürden der Qualifikation...
Esther Prenzel und Eva Handwerker unterbrechen mit einem verabredeten "Halt, halt, halt…", um ihre Schüler-Abiturrede im Dialog zu halten.
Nach dem Schlusswort der Schülerinnen weiter:
Dschungel, Überleben im Dschungel, "Survivor" ist Ihr Motto bei den Feierlichkeiten zum Abitur 2002. Sie haben die Schule überlebt! Aber, ob es im "richtigen Leben" jetzt leichter wird, darf bezweifelt werden.
In einem Hit von Destiny's Child heißt es im Refrain:
I'm a survivor,
I'm not gonna give up,
I'm not gonna stop,
I'm gonna work harder,
I'm a survivor , I'm gonna make it,
I'm a survivor, keep on survivin' !
Und dies möchte ich Ihnen zum Abschluss ebenfalls mit auf den Weg geben:
Keep on surviving! (Musik "I'm a survivior" setzt ein)
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!