Hannah Arendt (1906-1975)
von Karin Reinhardt
Hannah Arendt wurde 1906 als einziges Kind von Paul Arendt
und Martha Cohn geboren. Beide Eltern stammen aus
wohlhabenden jüdischen Familien. Der Vater ist Ingenieur, die
Mutter hat in Paris Französisch und Musik studiert. Politisch
verbindet Martha Cohn und Paul Arendt die Sympathie und
das Interesse an sozialistischen Ideen. Die junge Familie wird
belastet durch die Krankheit und den frühen Tod des Vaters.
Martha Arendt zieht mit ihrer Tochter nach Königsberg
zurück. Hannah Arendts Kindheit ist geprägt von dem Leiden und dem Tod ihres Vater, aber auch von Offenheit, familiärer Wärme, der Bereitschaft, sich Problemen zu stellen und Konflikte auszuhalten. Das Judentum spielt in ihrer Erziehung keine Rolle. Die junge Hannah muss sich allerdings immer häufiger mit dem wachsenden Antisemitismus auseinandersetzen, vor dem auch ihre Mutter sie nicht schützen kann.
Sie ist ein launisches und selbstbewusstes Kind. Nach einer Auseinandersetzung mit einem Lehrer wird Hannah Arendt der Schule verwiesen. Ihre Mutter sorgt für Hannahs Ausbildung und kämpft für die Möglichkeit eines schulischen Abschlusses. Mit Erfolg: Hannah Arendt legt 1924 als Externe - unter verschärften Bedingungen - das Abitur mit glänzendem Erfolg ab, ein Jahr früher als ihre ehemaligen Klassenkameraden.
Hannah Arendt studiert in Berlin, Marburg (bei Heidegger), Freiburg (bei Husserl) und Heidelberg (Promotion bei K. Jaspers) Philosophie, Theologie, Latein und Griechisch.
Auf der Flucht vor den Nazis wird sie 1933 ins Exil getrieben. Sie kommt zunächst nach Paris, wo sie ihren Mann, Heinrich Blücher, kennen lernt. Die Situation der deutschen Emigranten in Frankreich spitzt sich ab 1939 zu. Hannah Arendt wird schließlich im Frauenlager Gurs interniert und gelangt 1941 auf abenteuerliche Weise über Spanien in die USA.
Bereits als Kind und junge Frau zeigt Hannah Arendt in vielen Situationen ungewöhnliche Charakterstärke. Wenn es darum geht, ihren eigenen Standpunkt zu vertreten, hat sie enormes Durchsetzungsvermögen. Ihre intellektuelle Begabung, ihr Wissensdurst, ihr scharfes Urteilsvermögen, ihre ungetrübte Sicht der Welt machen sie zu einer herausragenden Studentin. Die komplizierte Beziehung zu Heidegger, das freundschaftliche Verhältnis zu Jaspers, die wissenschaftliche und philosophische Auseinandersetzung mit beiden, werden Hannah Arendt das ganze Leben begleiten.
Die Wirren, Ängste und Bedrohungen der Kriegsjahre meistert Hannah Arendt mit trotziger Selbstbehauptung und klugen Einschätzungen der Realitäten und der Möglichkeiten mit ihnen fertig zu werden. Nie gibt sie klein bei, nie gibt sie auf. In den Biographien über Hannah Arendt erlebt man niemals eine passive, leidende, an den Zuständen verzweifelnde Frau. Hannah Arendt packt zu, gestaltet, handelt, für sich, ihre Freunde, ihre Familie.
Nach dem Krieg arbeitet Hannah Arendt als Professorin an den namhaftesten amerikanischen Universitäten. Sie wird bis zu ihrem Tod im Jahre 1975 in den USA leben, wobei sie allerdings - oft mehrmals in einem Jahr - nach Deutschland zurückkommt und sich auch hier der Auseinandersetzung mit ihrem Werk stellt.
Mit ihren Buch über den Eichmann-Prozess in Israel wird sie weltweit bekannt - und umstritten. Der Begriff der "Banalität des Bösen" und ihre scharfe Analyse der Rolle der Juden in der Geschichte rufen heftige Kritik hervor, v. a. jüdische Organisationen erklären ihr den Krieg. Hannah Arendt hält unbeirrt an ihren Positionen fest - nicht sich verteidigend, nicht beschwichtigend. Sie geht ihren Weg, sie will und muss die Welt verstehen. Die Wirkung ihrer Gedanken - das ist ihr Problem nicht.
Und sie mischt sich ein: Kalter Krieg, McCarthy, steigender Wohlstand, wirtschaftliches Wachstum, Vietnam. Die Weltpolitik ist ihr Thema. Dabei läßt sie sich in keine politischen Schubladen einordnen, sie argumentiert weder "links" noch "rechts", nicht "konservativ", nicht "liberal". Ihr eigenes unbestechliches Denken, ihr scharfer Verstand weisen ihr den Weg der politischen Auseinandersetzung und v. a. des privaten und öffentlichen Handelns. Dabei lehnt sie für sich die Bezeichnung "Philosophin" ab; ihr Beruf, ihre Berufung ist die politische Theorie.
Als Hannah Arendts Haupwerk gilt ihr Buch "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft".
Sie untersucht in diesem Buch den Antisemitismus, den Imperialismus und den Totalitarismus nationalsozialistischer Prägung. Karl Jaspers schreibt in seinem Vorwort: "Das Buch will Erkenntnis (...). Es will durch die Erkenntnis mitarbeiten an der sittlich-politischen Denkungsart, die die Selbstbehauptung des Menschen ermöglicht (...). Es liegt am Menschen und nicht an einem dunklen Verhängnis, was aus ihm wird." Das ist Hannah Arendts Geist: Die Erkenntnis, aus dem das Handeln resultiert. Das Denken, das neue Wege des Handelns schafft. Im Handeln - diesen Begriff trennt sie scharf von dem Begriff der Arbeit - verwirklicht der Mensch seine höchste Fähigkeit, nämlich die Fähigkeit, etwas völlig Neues zu beginnen, einen Prozess in Gang zu setzen, dessen Folgen unabsehbar sind. "Weil jeder Mensch aufgrund des Geborenseins ein initium, ein Anfang und Neuankömmling in der Welt ist, können Menschen Initiative ergreifen, Anfänger werden und Neues in Bewegung setzen (...). Der Neuanfang steht stets im Widerspruch zu statistisch erfassbaren Wahrscheinlichkeiten, er ist immer das unendlich Unwahrscheinliche; er mutet uns daher, wo wir ihm mit lebendiger Erfahrung begegnen ..., immer wie ein Wunder an." (H.A., Vita activa oder Vom tätigen Leben, München 1996, S. 215 ff.).
Hannah Arendts Werk bietet eine große Vielzahl von Anregungen, von Möglichkeiten der Auseinandersetzung, des Denkens, der Bildung. Ihre Biographie und ihre Lebensphilosophie beweisen, was es heißt, das Leben handelnd zu gestalten. Sie hat auf beispielhafte Weise gezeigt, dass der einzelne Mensch das Handeln nicht anderen überlassen darf. Ihre Art, sich ins Denken zurückzuziehen und gleichzeitig Verantwortung zu übernehmen für sich selbst, für Freunde und Familie, für die Gemeinschaft, in der wir leben, für den Staat und die Gesellschaft, sind beeindruckend und wegweisend zugleich.
Wir wünschen uns eine Auseinandersetzung unserer Schüler und Schülerinnen mit Hannah Arendts Leben und Werk. Ihr Name steht für eine ideologiefreie Schule, für aktives Handeln, für handelnde Zukunftsgestaltung.
Hier findet man weitere Informationen zur Person Hannah Arendt